Montag, 14. April 2008

Aschermittwoch freitags im August

Karla Klingbeil war meine wirklich beste Freundin. An einigen untrüglichen Zeichen hatte sich dies festgemacht: sie bewachte neidvoll meine Seele, kritisierte meine gefärbten Haare und hatte kurzerhand und natürlich heimlich eine Liaison mit einem meiner Geliebten angefangen. Seitdem hinterfragten die beiden meine Zahnschmerzen nach möglichen seelischen Ursachen, hinter denen sie sinnigerweise Liebeskummer vermuteten, sie waren zusammen wirklich gut drauf, das kann man nicht anders beschreiben. Ich freute mich heftig und überlegte gleichzeitig, wie ich mit der Erkenntnis, dass jede Andeutung ihr gegenüber mit zentnerschwer auf die Füße fiel, wohl zurechtkommen würde. Karlas Rigorosität, mit der sie die Welt um sich gestaltete und inszenierte, war in pikanterweise gepaart mit feinsinniger Zurückhaltung, was sie allen Menschen zum verständnisvollen Gesprächspartner machte und mir klar vor Augen führte, dass meine spöttische Offenheit der falsche Fahrplan war.
Genug lamentiert, sie hatte die besseren Karten, war jung, hatte Kraft und blonde Haare, womit alles umschrieben ist. Die Begegnung mit meinem früheren Freund Anton, den ich vor etwa zehn Jahren verließ, war noch mehr als zufällig, doch konnte ich dabei erstmals mit Aufmerksamkeit verfolgen, welch unverschämt charmanten Eindruck sie auch auf diesen nur an Elementarteilchen interessierten Menschen machte.
Mir kam eine Idee, deren Umsetzung mir vorerst schwierig schien, die dennoch bald darauf mein Leben völlig veränderte.
Anton hatte ein ganz passables Atelier, in dem er seinerzeit noch mitten in der Ostzone daran bastelte, eine Leiterplatte herzustellen. (Das lag zeitlich etwas nach jener Zeitspanne, als man mitten in Thüringen darunter noch eine Holzleiter für Kirschbäume verstand, war aber ein durchaus solides Projekt mit dem Anschein, den Nobelpreis in das kleine Land der Dichter zu bringen, die damals noch umjubelt und heimlich gelesen wurden.) Anton war indessen nunmehr bei einem zweifelhaften Forschungsinstitut beschäftigt, hatte sein gutes Einkommen und wenig Aufgaben, dafür aber das gute Gefühl, auf der Seite der Gewinner zu stehen. Wir hatten beide in einem zweifelhaften Club - begleitet von zeitgemäßem Technosound - "metropolis" konsumiert und ich hatte ihm erklärt, was ich in etwa beabsichtigte. Er sollte in seinen Apparaturen eine Zweitausgabe der Klingbeil anfertigen, deren ethisches Gerüst vielleicht dem von Faustens Gretchen entspräche und diese Gestalt wäre dann die passable Dopplung, damit mich der Verrat der Freundin nicht allzu sehr schmerzte. Die originale Karla, die ja nun mitnichten jenes ehrliche Gemüt war, dessen mensch in diesen wirren Zeiten bedarf, um seine im Alltagsleben erlittenen Schürfungen zu kompensieren, diese Karla sollte ruhig bei sonst wem bleiben, ich selbst brauchte eine weibliche Person zum Zuhören und ohne die permanente Furcht vor dem Verrat.
Anton war in seinem Job wirklich unterfordert, denn ohne zu Zögern machte er sich an die Aufgabe und schon nach einer Woche hatte er einen Generator entwickelt, der moralische und andererseits unmoralische Sentenzen und Individualitätsstrukturen produzierte. Ich war begeistert. Die Konstruktion einer identischen Puppe scheiterte vorerst, aber die Verfeinerung des Instrumentariums von edler Anmut einerseits und zynischen Statements andererseits beschäftigte ihn übermäßig. Von einem Besuch an der Oder, wo er ein kleines Landhaus gemietet hatte, kehrte er überschwänglich freudvoll zurück und er lud mich am Telefon für den nächsten Abend ein. Ich konnte es kaum erwarten. Wir rannten über die Stufen in das Labor. Anton riss sich im Eintreten ein Loch in die beigefarbene Jacke und ein gewisses Glitzern in den Augen verriet mir, dass er die Tage nicht mit untätigem Rumsitzen mit Blick auf das ewig gleiche Wasser und entsprechendem Gesülze über Ruhe und Schönheit der Uferlinie verbracht hatte. Ich war ein wenig durstig und nahm mir rasch einen Schluck aus der Wasserflasche, dann wendete ich meine volle Aufmerksamkeit dem Meister zu. (Ich war mir recht sicher, dass es sich keineswegs um eine völlig neue Idee und ein originäres Werk handelte und bitte geneigte Leser davon Abstand zu nehmen, mich durch entsprechende Proteste darauf aufmerksam zu machen. Natürlich war mir vollständig klar, dass diese Lösung andernorts längst schon existierte und angewendet wurde.) Er rannte noch kurz ins Nebenzimmer, dann begann die Herstellung. Trotz der ganzen Armaturen sah alles recht unkompliziert aus und dann ergoss sich in je zwei Gläsern durch Kondensation eine durchsichtige Flüssigkeit. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits eine leichte Ahnung, dass ich selbst meinen Schluck aus der Flasche voreilig getan hatte und es sich womöglich um eine Abfüllung handelte. Sofort schilderte mir Anton, dass diese Kleinstmenge nur eine Demonstration sei, in den beiden Flaschen dort - und mir wurde leicht zittrig - sei ein großer Vorrat und der sei schon ausprobiert. Wie Recht er hatte.
Ich muss noch hinzufügen, dass aus der Konstruktion einer zweiten Karla bis heute nichts wurde, dass Anton selbst die eine Flasche mit der Sorte "edel, hilfreich und gut" ausgetrunken hat und seit einigen Wochen in U-Haft sitzt. Er hatte etwa 300 Kinder von der Straße ins Hotel Kempinski eingeladen und die Chose nicht bezahlt. Da er meinen zunehmenden Zynismus nicht mehr ertrug, hatte er bereits vorher jeden Kontakt zu mir abgebrochen.
Ich bin mir nunmehr bei diesen Notizen gar nicht sicher, ob meine Wahrnehmung von Karla überhaupt korrekt ist, schließlich habe ich sie seitdem nicht mehr getroffen und auch sonst meide ich die Menschen erfolgreich, was in dieser Stadt nicht weiter auffällt. Ich habe mich dennoch zu diesem Bericht gezwungen, da ich mir mancherlei Dinge zunehmend weniger erklären kann und diese Geschichte in wenigen Wochen so zu notieren nicht mehr möglich wäre. Im Übrigen scheint die Herstellung der Flüssigkeit "cool und verbittert" so kompliziert nicht zu sein, denn irgendeine Firma muss sie massenhaft vertreiben. Für entsprechende Forschungsprojekte bezüglich Spätfolgen stehe ich zur Verfügung.

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