Montag, 14. April 2008

...ein letztes Mal davon gekommen

Unsere Bekanntschaft konnte man selbst bei gutem Willen nur als flüchtig bezeichnen, dennoch hatte ich guten Grund zu der Annahme, daß Günther mich mochte. Diese Tatsache war mir sehr schmeichelhaft erschienen und ich hatte leicht und wie die Gewinnerin eines allzu gut bekannten Spiels in mich hineingelächelt. Zu meiner eigenen Überraschung hielt dieses Empfinden nur wenige Minuten an. Dann schien mir der Fakt an sich ausreichend. Ich fühlte nun eigentlich gar kein Interesse mehr an ihm und wandte mich anderen Gästen des Banketts zu.
Desungeachtet führte uns wenige Tage nach dieser Begegnung ein gemeinsamer Auftrag für einen Klienten zusammen und ich hatte nichts gegen Günthers Vorschlag einzuwenden, ihn in seinem Appartment zu besuchen. Im Fahrstuhl überprüfte ich sorgfältig mein make up, denn wenn ich auch nicht im mindesten beabsichtigte, ihn zu meinem Geliebten zu machen oder ihm irgendwelche Rechte anderer Art einzuräumen, wollte ich unsere gemeinsame Arbeit auf einem festen Fundament von Verständnis und Freundschaft begründen. Ich war furchtlos gegenüber allen Eventualitäten. Würde er vor mir auf die Knie fallen und mir seine Liebe gestehen, würde mich dies nicht überraschen und ich müßte nur in schlichter Weise eine lässige Ablenkung vom Thema finden, damit die Peinlichkeit eines solchen unerwiderten Auftritts von Gefühlen nicht ein für allemal das Ende jeder Zusammenarbeit bedeutete.
Günther ist, das muß ich an dieser Stelle hinzufügen, in seinem Job ein gefragter Fachmann, der durch unkonventionelle Formen des Herangehens tradierten Geistern ein Dorn im Auge ist. Für die Kunden stellte dies einen unschätzbaren Vorteil dar und ich wollte mir um nichts in der Welt die Chance nehmen lassen, an seiner Seite einige wichtige Geschäftspartner und Erfahrungen zu nutzen. Für die eher vulgäre Variante, daß er mich womöglich schlichtweg vergewaltigen würde befangen in dem Irrtum, ich sei fasziniert von ihm als Mann dachte ich noch keinerlei Handlungsstrategie voraus. Vor der Tür strich ich kurz über den neuen Leinenrock, (dunkelgrün, die von Sommerzeitschriften im Juli für den Herbst gepredigte Modefarbe) und klingelte.
Als ich eintrat, glaubte ich in seinem Gesicht deutlich Freude wahrnehmen zu können. Er bat mich in seinen Arbeitsraum, der von fast unheimlicher Ordnung geprägt war. Automatisch hatte ich mir angesichts seiner Arbeitsweise, die als phantasievoll und spontan gepriesen wurde, seine Gemächer nur als farbige und leicht chaotische Ansammlung, voll von Bildern, Büchern und Zeichen von Reisen und Begegnungen vorstellen könen. Nun war ich angesichts der absolut weißen Wände, dem völligen Fehlen jeglicher Pflanzen und der Leere auf seinem Schreibtisch verunsichert . Ich bastelte für mich an der Erklärung, dies könne sehr wohl das Vorzeigezimmer für Gäste sein, vielleicht war nebenan ein Raum, der all das barg und vor den Blicken der Fremden schützte. Aber war ich eine Fremde? Meine mir selbst auferlegte Zurückhaltung mußte ich wohl aufgeben, wenn ich die so sichtbare Distanz aufbrechen wollte und so nahm ich den angebotenen Platz auf dem grauen Sessel gar nicht an und ging leicht schlendernd zum Fenster. Der Blick auf die Straße war trist und ich wollte nicht lügen, aber was um Gottes Willen sollte ich ihm sagen, nichts war da, was dem Blick Halt und Anlaß für eine Bemerkung geboten hätte.
Wenigstens ein schwarzer Stift lag auf dem staublosen Tisch, dessen Glasplatte vor wenigen Minuten abgewischt sein mußte. Hatte ich mich getäuscht, war der kreative und faszinierende Mann ein Langweiler erster Ordnung oder war all dies eine Inszenierung, eine Prüfung, die ich unmöglich bestehen konnte?
Konnte nicht jeden Moment der Boden unter meinen Füßen sich senken und wer von meinen Freunden wußte überhaupt, daß ich hier in der Lindenallee 33 war? Als ich mich schließlich setzte, lehnte Günther leicht an dem Schreibtisch und nahm seinen Stift in die Hand. "Ein schöner Stift" sagte ich in Ermangelung anderer Einstiegsmöglichkeiten für das Gespräch und schon zog er geräuschlos die Schublade auf. "Du kannst einen haben, ich schenke ihn Dir." Er entnahm einen weiteren, ebensolchen lackschwarzen Federhalter dem Fach und reichte ihn mir. Mich durchzuckte die Ahnung, nun werde ich meine Haut ritzen müssen und mit Blut einen Vertrag unterschreiben, der mich für immer in diesem furchtbar grauen Raum gefangenhält. Etwas zu rasch antwortete ich: "Nein danke, ich habe selbst einen Stift" und holte zum Beweis meinen Kugelschreiber hervor, den mir vor einer Woche ein Freund geschenkt hatte. Dieser Stift aus Plastik war fast völlig das Gegenteil von Günthers filigranen Angebot, dick und fast unhandlich, ein Werbegeschenk eines Jugendsenders und in meinen Lieblingsfarben rot und türkis. Ich saß wie festgewurzelt, als Günther diesen mir aus der Hand nahm, rasch zum Fenster ging und es öffnete.
"Der paßt nicht zu Dir. Du solltest sowieso nur schwarze Sachen tragen. Das paßt besser zu deinen blonden Haaren und gibt Dir die nötige Härte, die deiner Ausstrahlung noch fehlt." Er schloß das Fenster wieder und hatte ganz offenbar den Stift fallen lassen. Ich war versucht aufzuspringen, ihm an die Kehle oder auf die Straße, verwarf aber beides. Welch absurdes Schauspiel wurde hier gegeben und wie kam ich zu einer Besetzung, auf die ich offenbar falsch vorbereitet war. Mir war trocken im Mund, doch ich war froh, daß er nicht beabsichtigte, mir etwas anzubieten. Er stand am Fenster und erwartete augenscheinlich auch nicht, daß ich etwas zu seinem Tun sagte. Stattdessen fuhr er fort: "Du wirkst naiv, verspielt wie ein Kind und verletzbar durch alle und jeden. In deinem Alter ist das untragbar. Deine grünen Sachen sind viel zu grell, wir arbeiten weder im Wald noch für irgendeine Partei. Ich wünsche nicht, daß Du noch einmal derart bekleidet in meine Wohnung kommst. Unsere Ziele werden klar und offen vertreten, jeder Ausrutscher schadet der Sache. Daß Du Dich für uns entschieden hast, ist nur das Eine. Ich nehme an, daß Du die Konsequenzen kennst und nun auch bereit bist, deine äußere Erscheinung unserem Ziel unterzuordnen. Ich verlange keine Antwort von Dir, ich werde auch diesesmal auf eine Meldung verzichten. Es wird Dir nicht schwerfallen, Dich in einschlägigen Geschäften mit schwarzer Kleidung zu versorgen. Zum meinem tiefsten Bedauern ist diese Farbe auch von einer ganzen Reihe anderer Leute auserkoren, die unseren Zielen entgegenarbeiten. Dies wird nicht lange so bleiben. Über kurz oder lang wird es jedem verboten werden, unsre Farbe zu tragen, der nicht sein Bekenntnis zu uns abgelegt hat. Fühlst Du Dich nicht wohl, ist Dir schlecht? Um Gottes willen, dann geh nach Hause, wir können uns gern morgen treffen. Ich will nicht, daß Du mir den Teppich vollkotzt!" Mir war während seiner Rede sichtbar immer übler geworden und ich hatte für einen kurzen Moment den Gedanken, daß dies gar kein so schlechter Einfall wäre, diesen hellgrauen Fußbodenbelag einfach zu besudeln auf natürliche Weise. Ich erhob mich und sagte, daß dies wohl wirklich besser sei. Mit sorgenvollem Blick brachte er mich zum Lift und ich sah im Spiegel mein angstverzerrtes Gesicht. Erst als ich aus dem Haus gerannt und wieder an der Luft war, fühlte ich mich etwas besser. Gehetzt und zitternd lief ich zur nächsten Bank, auf der zwei Jungen saßen. Die Ironie des Schicksals bescherte mir eine kleinen Trost. Der größere von beiden zeigte dem andern meinen Stift, den er gerade gefunden hatte.
"Guck mal, da hatte einer nicht alle Tassen im Schrank, der kam vorhin direkt von oben gefallen, wie 'ne Rakete, und so schön bunt."

Keine Kommentare: