Montag, 14. April 2008

Februar

Der Wagen fuhr durch die Wälder, die im Februar noch ohne Grün waren, es schien, als ob an diesem Tag kein Mensch auf der Landstraße war und ich hatte beschlossen, zügig zu fahren. Ich hatte die ersten Dörfer hinter mich gebracht, als ein von weitem sichtbares Bündel auf der Straße lag. Anfangs wollte ich ganz aus Reflex ausweichen, da auch die Gegenfahrbahn leer war, doch dann hatte ich das Gefühl, als ob es sich bewege. Ein Bericht über die Tatsache, dass jüngst eine Frau auf der Straße verblutete, weil alle Angst vor Aids hatten, ließ mich anhalten. Die Hand in der Tasche hatte mein Taschenmesser fest umschlossen, was mir zwar eher eine Zerstörung meiner Jacke eingebracht hätte, aber der Gedanke, nicht völlig wehrlos zu sein, beruhigte ganz ungemein.
Ich hatte die Wagentür nicht geschlossen, als ich mich dem Bündel näherte. Für einen Moment erwischte ich mich bei der Vorstellung, nun müssten bärtige Männer aus dem Dickicht brechen und den Wagen in Besitz nehmen. Nicht mal die Geldkarte hatte ich bei mir, obwohl man gerade seine Wertsachen getrennt aufbewahren sollte...Im Näherkommen erwies es sich als ein Haufen undefinierbarer Farbe und auch über die Größe lässt sich rückblickend nur spekulieren. Ich hatte ein Gefühl von Wärme, was angesichts der winterlichen Temperaturen überraschend war, auch erinnere ich mich sehr genau, dass mir in diesem Moment für wenige Sekunden so etwas wie Meeresrauschen und das Stampfen von Pferdehufen im Ohr war. Rückblickend muss das als völlig abwegig gelten. Da es sich bewegte, konnte ich unmöglich meine Wegstrecke so fortsetzen. Ich zerrte meine Handschuhe heraus und versuchte es aufzuheben.
Fast überraschenderweise ging das höchst unkompliziert, aber meine Erfahrung hätte mir an der Stelle schon sagen müssen, dass dies immer nur der Anfang war, immer ging es am Anfang schnell und unkompliziert. Ich fragte, ob ich es in den Wald legen sollte, worauf keine zustimmende Antwort kam, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als es vorsichtig in den Wagen zu tragen. Der alte VW- Bus war mit allerlei Kram bepackt, und ich musste erst Platz schaffen. Als ich es vorsichtig neben den Farbeimern und der Plane für die Scheune abgesetzt hatte, schlug ich die Tür hinten zu und setzte mich mit zwiespältigen Gefühlen ans Steuer. Inzwischen waren etwa drei Autos vorbeigekommen, die alle ebenso zügig wie ich fuhren und dem Vorfall keine Bedeutung beimaßen. Nach wenigen Minuten Fahrzeit überlegte ich, was zu tun sei. Noch verhielt es sich ruhig, aber all das Kommende war ja klar zu erkennen, Ärger, nichts als Ärger. Ich hätte einen anderen Tag nehmen sollen, warum nicht gestern, als das Wetter besser war. Ein schräger Blick nach hinten und ich musste mir eingestehen, ich wusste gar nicht recht, was ich da eingeladen hatte. Schon in der nächsten Kleinstadt erwog ich, es an einer zentralen Stelle abzusetzen. Es machte keine Anstalten, dergleichen akzeptieren zu wollen, gab sich selbst aber verschwiegen und ich konnte nichts über seine Absichten erfahren. Fast schien es sich vor mir zu fürchten, denn es kauerte in der hintersten Wagenecke und so begann ich, Geschichten zu erzählen. Es zeigte eigentlich keine Regung, erst allmählich kroch es näher heran zu mir und horchte interessiert. Da kein weiteres Detail zu sehen war, es war einfach ÜBERHAUPT nichts zu sehen, beschloss ich, daß es außer fühlen offenbar auch hören konnte. Wenigstens was. Die Geschichte von dem Engel Zafir gefiel ihm so gut, dass es deutlich seine Form veränderte. Ich probierte an einem Märchen, wie es auf Untiere reagierte, aber das war die falsche Strategie. In den Tiefen des Handschuhfachs, was eigentlich mehr ein Kassettenfach war, hatte ich mittelalterliche Musik gefunden. In der Nähe von Seelow musste ich kurz anhalten, um in einem Gasthof die Toilette aufzusuchen. Ich ließ den Bus offen.
Als ich wiederkam und vorsichtshalber eine Tasse Kaffee bei mir führte, war der Wagen leer, abgesehen von dem Kram, den ich oben schon erwähnte. Die Tüte Erdnüsse fehlte, ansonsten war alles da. Ich hatte es eilig und wartete einige Minuten, dann gab ich es auf und fuhr weiter, nicht ohne ein Gefühl der Erleichterung, gemischt mit einem leichten Schmerz.
Hatte ich heute Morgen noch nichts von seiner Existenz gewusst und war sie auch mehr als zweifelhaft, so reichte eine bloße Begegnung, dass bloße Wissen darum, dass es etwas gibt, schon aus, damit ich eine leichte Leere verspürte. In Kienitz angekommen lud ich die Farbkübel aus und begann noch am selben Abend, den Vorbau unter der Scheune zu streichen. Ab und an, wenn ich ein Geräusch hörte, hatte ich für Sekunden die absurde Vorstellung, es könne aus plötzlich auftauchen und ich hätte vielleicht noch eine Chance....

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