Montag, 14. April 2008

Kanalisation

Nur weil ein kleiner Junge mich nach der Uhrzeit fragte, weiß ich, dass es gegen zehn gewesen sein muss. Eine Woche mit hochsommerlichen Temperaturen hatte dem April zu Blütenpracht und häufiger Debatte in den Medien verholfen. So etwas ist nützlich, wenn am Ende des Jahres in den Silvesterbetrachtungen abgerechnet wird. Ich stand auf einer jener Brücken, die den Kanal mitten in der Stadt überqueren halfen und beugte mich über das Metallgeländer. Links war der Weg vor Jahren erneuert worden, auf der anderen Seite aber wurde nun schon seit Wochen gebaut, eine hölzerne Umrandung für den feinen, leicht rötlichen Kies, der am gestrigen Tag offenbar verteilt worden war. Wie ein lachsrotes Band zog sich nunmehr der Uferweg entlang unter den voll erblühten Kastanienbäumen. Nichts konnte diese Schnur unterbrechen, denn schließlich waren noch immer mannshohe Zäune aufgestellt, die diesen Teil absperrten und alle Wanderer auf die linke Seite verwiesen. Die innere Harmonie dieses Bauwerks zog meinen Blick an und ich bemerkte erst nach einigen Minuten, dass sich ein Saxophonspieler mitten auf dem Kiesweg befand und zu spielen begann. Es war mir völlig rätselhaft, woher er gekommen sein mochte. Eine getragene Melodie erfüllte die Luft und ich verharrte, um die wenigen Menschen auf der linken Seite zu beobachten, wie diese wohl damit umzugehen vermochten. Es schien keiner in seinen Schritten einzuhalten, obwohl der Ton überall gut zu hören sein musste. Ein kleines Mädchen zeigte mit dem Finger auf die andere Seite, wurde jedoch von ihrer Mutter weitergezogen. Allein meine Fußspitze kickte im Rhythmus gegen das Geländer. Mal konnte ich dem Tempo folgen, mal kam ich ein wenig aus dem Takt. Ich hatte mich offenbar viel zu stark auf meine eigene Rolle in dem Stück konzentriert, dass ich überhaupt nicht hatte verfolgen können, wie es geschah. Rückblickend nehme ich an, dass der Musikant infolge einer Irritation, deren Ursache nicht nachvollziehbar ist, einfach mit dem Rücken zum Kanal stehend nach hinten trat. Das Geräusch seines Einschlagens ins Wasser war mir aus Filmen geläufig. Da er nicht wieder auftauchte, begann ich nach einigen Sekunden zuerst zu der Absperrung zu laufen, dann sah ich das Hilflose meines Unterfangens ein, da ich kein sicherer Schwimmer bin. Auch war ich mir bereits in diesem Moment absoluter Stille gar nicht mehr so sicher, ob es je einen Saxophonspieler gegeben hatte. Trotzdem fühlte ich mich verpflichtet, von der nahegelegenen Telefonzelle aus die Polizei zu benachrichtigen. Ich schilderte ihnen meine Beobachtungen präzise. Kurz vor dem Ereignis hatte ein kleiner Junge mich nach der Uhrzeit gefragt, so dass ich nun genau wusste, dass es gegen zehn geschah.

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